Margaret Mazzantini: Das schönste Wort der Welt

Manche von euch erinnern sich vielleicht: Dieses Buch habe ich bei der Aktion zum Welttag des Buches zweimal verlost. Eigentlich hatte ich es vorher lesen wollen, es dann aber nicht geschafft und nur ein wenig hineingelesen und mich ansonsten auf den Klappentext verlassen. Nun hatte ich Urlaub und habe mich endlich in die Lektüre dieses dicken Wälzers gestürzt. Zum Glück! Denn der Klappentext gibt natürlich nur einen Bruchteil dessen wieder, was in dem Roman passiert. Er ist um ein Vielfaches komplexer, spannender, rührender, bewegender und dramatischer, als ich geahnt habe. Also, die zwei Gewinnerinnen haben wirklich Glück gehabt, ein so wundervolles Buch zu gewinnen!

Die Italienerin Gemma wird durch den Anruf eines Freundes aus Sarajewo, Gojko, zurück in ihre teilweise verdrängte Vergangenheit gestoßen. Auf seine Anregung hin fliegt sie mit ihrem Sohn Pietro in die Stadt, in der ihr Geliebter Diego, der Vater Pietros, während des Krieges ums Leben gekommen ist. Diego war Fotograf, seine Kriegsbilder sollen in einer Ausstellung gezeigt werden. Der jugendliche Pietro ist bockig, er hat keine Lust, etwas über seinen Vater zu erfahren, den er nie kennengelernt hat. Für ihn ist der neue Mann seiner Mutter sein Vater, er denkt, er sei nur zufällig in der Stadt geboren, die seiner Mutter so viel bedeutet. Doch schließlich fügt er sich und ist bereit, sich auf eine Begegnung mit seiner Geburtsstadt einzulassen.

Kaum in Sarajewo angekommen, brechen die Erinnerungen über Gemma herein. Es ist die Stadt, in der sie Diego kennen- und liebenlernte, in der sie Freunde fand, ein Patenkind bekam, in der sie lange Kriegsmonate verbrachte, weil alle die Warnungen vor dem drohenden Krieg nicht ernst nahmen und sie Diego nahe sein wollte und in der schließlich ihr geliebter Pietro das Licht der Welt erblickte.

Gemmas Erinnerungen werden immer wieder unterbrochen von den Ereignissen des aktuellen Besuchs. Nicht nur Pietro erfährt einiges über die Geschichte seiner Eltern, auch Gemma erfährt durch Gojko Hintergründe, die ihr nicht klar waren.

Nach und nach entwickelt sich die Geschichte einer verzweifelten Frau, die ihre große Liebe fand, aber irgendwann nur noch ihren Kinderwunsch im Kopf hat. All das eingebettet in die Kriegssituation des eingeschlossenen Sarajewos, der Stadt, die von Heckenschützen umgeben war, die auf alles schossen, was sich bewegte.

Gemmas Geschichte ist mir sehr nahegegangen. Ihre Suche nach Liebe, ihr Glück, das sich in Verzeweiflung wandelt, als sich ihr Kinderwunsch nicht wie erwartet erfüllt, sind sehr glaubhaft geschildert. Allein das wäre schon eine brührende Geschichte. Die Handlung spielt sich weitgehend teils in Italien, teils in Sarajewo ab. Der Leser lernt Sarajewo in glücklichen Tagen kennen, beginnend während der Olympiade: eine multikulturelle Stadt, in der es sich trotz mancher Einschränkungen gut leben lässt. Dann jedoch beginnt der Krieg, Sarajewo wird eingeschlossen, Sniper liegen auf den umliegenden Hügeln und machen sich einen Spaß daraus, die Einwohner wie Hasen zu jagen. Viele Protagonisten waren mir zu diesem Zeitpunkt ans Herz gewachsenen, um deren Leben ich nun bangte. Aber nicht nur die Schicksale der Bekannten wurden geschildert, sondern auch die namenloser Unbekannter, und das auf eine sehr eindringliche und zu Herzen gehende Weise. Ich muss gestehen, dass ich das Schicksal Sarajewos in der Reihe der nachfolgenden Kriege und Katastrophen schon fast wieder vergessen hatte. Die eindringlichen Schilderungen Mazzatinis versetzen mich mitten hinein in die klaustrophobische Enge der belagerten Stadt und ließen mich bangen, hoffen, weinen, verzweifeln, aber auch staunen über den nicht erlahmenden Lebenswillen, den Erfindungsreichtum und das Durchhaltevermögen der Menschen.

Ach ja, und was ist das schönste Wort der Welt? Diese Frage wird erst ganz am Schluss geklärt und ich werde die Antwort nicht verraten. Nur so viel: Es ist nicht das, woran ich die ganze Zeit dachte.

Als ich das Buch aus der Hand gelegt habe, konnte ich nicht gleich wieder zur Tagesordnung übergehen. Es brauchte eine ganze Weile, um sich zu setzen und verdaut zu werden. Es ging mir noch Tage durch den Kopf und ist auch jetzt gleich wieder sehr präsent. Es liest sich scheinbar mühelos, ich habe Seite um Seite verschlungen und war am Ende selbst erstaunt, wie schnell ich die 700 Seiten gelesen hatte. Es ist wie ein Sog, der einen erfasst, sobald man ein Stück in die Geschichte eingetaucht ist.

Ein wundervolles Buch, das sehr viele Leser verdient hat!

Cover_Mazzantini_DasschönsteWort

Margaret Mazzantini: Das schönste Wort der Welt. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Dumont 2012. 702 Seiten, Euro 12,00, ISBN 978-3-8321-6219-1.

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